Was ist "Coriolis - der dritte Horizont"?Am besten blättert man durch den Coriolis-Schnellstarter, um einen Überblick über das Setting und das System zu bekommen. Sobald die deutsche Version online ist, verlinke ich sie hier, bis dahin findet man
hier den englischen Schnellstarter.
Das SettingGanz kurz zusammengefasst ist Corilis "1001 Nacht im Weltraum". Drei Dutzend Sternensysteme, verbunden durch uralte und mysteriöse Portaltechnologie und entdeckt vor langer Zeit von menschlichen Kolonisten in ihren Raumschiffen. In einem blutigen Krieg zwischen dem Ersten Horizont (der Erde und dem sie umgebenden kolonisierten Weltraum) und dem Zweiten Horizont (Sternensystemen hinter dem ersten entdeckten Sternenportal) kappten die Kolonisten des Dritten Horizonts alle Verbindungen in die alte Heimat. Viele Jahre lang degenerierte der Dritte Horizont zu isolierten Sternensystemen - bis das gigantische Kolonieschiff "Zenith" ankam, das vor 1.000 Jahren die Erdumlaufbahn verlassen hatte und "zu Fuß" die immense Distanz zum Dritten Horizont überwand.
Die "Zenither" zersplitterten in mehrere Fraktionen und breiteten sich im Horizont aus. Die "Zenith" wurde ausgeschlachtet und zu einer kilometerlangen Raumstation umgebaut, der Coriolis-Station. Die Coriolis umkreist den Planeten Kua, dessen Stern zentral im Horizont gelegen ist und von allen Reisenden angesteuert wird. Dort tagt das Konzil der Fraktionen, in dem die Zenither und die Erstsiedlergruppierungen gleichermaßen vertreten sind.
Im Dritten Horizont werden 9 Ikonen verehrt, Götter mit unterschiedlichen Aspekten. Manche mögen den Ikonenglauben für Humbug halten, andere sind fanatische Anhänger dieser Götter und betrachten jedes Zweifeln als Häresie. Manche halten auch Dschinne und andere Geister für bloße Schauermärchen, andere wissen es besser. In manchen ist seit Kurzem sogar eine mystische Kraft erwacht, wie die Zauberei aus den Märchen, doch wehe die Fanatiker erfahren davon...
Arabian Nights in SpaceIn diesem RPG taucht man in den Nahen Osten der Zukunft ein, bzw. ist der Nahe Osten das dominante Setting. Keine Raumstation ohne Basar oder Suq, die Kleidung und die Nahrung und vieles andere ist arabisch eingefärbt und hochrangige Personen haben Titel wie Wesir oder Sheik. Ist das gewöhnungsbedürftig? Ich habe das GRW korrekturgelesen und fand, dass diese Einfärbung vor allem viel Flair mit sich bringt. Man hat gleich Ideen, wie es auf einer Raumstation aussehen könnte, und neben der kalten Technik des Sci-Fi tut der Mystizismus aus 1001 Nacht dem Setting meines Erachtens nach sehr gut. Sicherlich kann man das Setting auch "westlich" spielen, sämtliche Namen und Bezeichnungen in den Büchern ziehen jedoch konsequent das arabische Thema durch.
Interessant finde ich dabei, dass ein Spagat zwischen Religiosität und westlich geprägter Toleranz versucht wurde. Eine der Fraktionen ist fanatisch organisiert, sie betet aber nur eine der 9 Ikonen an. Auch hat sie keinen absoluten Machtanspruch wie die anstrengende Praioskirche Aventuriens, wenn man nicht gerade auf der Heimatwelt der Fraktion ist. Es gibt religiöse Regeln wie "einmal im Leben sollte ein Gläubiger als Pilger eines der Heiligtümer der Ikonen aufsuchen" und "heiraten sollten Gläubige nur einmal" - aber das Geschlecht des Partners ist ausdrücklich egal. Fortpflanzen kann man sich in Zukunft ohnehin auch ohne dass das Spitze ins Runde muss.
Letztendlich ist es jeder Gruppe überlassen, wie gläubig die SC sind und wie groß die Rolle der Religion im Spiel ist.
Das WürfelsystemDas Würfelsystem stammt aus "Mutant: Jahr Null" und wurde an das Setting angepasst. Es ist simpel und elegant: Jeder Charakter besitzt vier Attribute - Stärke, Geschicklichkeit, Verstand und Empathie. Die Fertigkeitenliste ist übersichtlich und in allgemeine Fertigkeiten (können auch ohne Rang eingesetzt werden) und spezielle Fertigkeiten (nur ab Rang 1 anwendbar) geteilt. Jede Fertigkeit ist einem Attribut zugeordnet.
Beispiel: Ein Soldat mit Geschicklichkeit 4 und Fernkampf 4 will seine Waffe abfeuern. Er würfelt 8 sechsseitige Würfel (4+4). Jede gewürfelte 6 ist ein Erfolg, 3+ Erfolge bedeuten einen besonders starken Effekt. Das ist simpel und wird so durch sämtliche Regeln durchgehalten.
Ikonen und die Finsternis zwischen den SternenDie Ikonen sind real, ebenso die Dunkelheit und ihre Kreaturen. Jedes Mal, wenn ein Würfelwurf misslungen ist oder zu schlechte Ergebnisse erzielt hat, dürfen die Spieler alle Würfel ohne 6 wiederholen. Die SC schicken dann ein Stoßgebet zu der Ikone, die für das steht, was gerade versucht werden soll. Im Vorfeld eine Kapelle aufzusuchen und zu dieser Ikone zu beten bringt ebenfalls Vorteile beim Würfeln.
Doch alles hat zwei Seiten und der Kosmos ist auf Ausgleich bedacht, daher erhält der SL Finsternispunkte, wenn die SC sich Hilfe bei den Ikonen holen oder mystische Kräfte einsetzen. Diese FP kann der SL verwenden, um kleine Effekte wie Ladehemmungen auszulösen oder andere Komplikationen herbeizuführen. Will er die mystischen Kräfte dunkler Kreaturen einsetzen, muss er im gleichen Maße FP ausgeben wie SC sie mit solchen Fähigkeiten für den SL erzeugen. Dieser "Pool" kann das Spiel also würzen. Ich persönlich werde diesem Regelaspekt aber wohl keine zentrale Rolle einräumen, da er sich wie "SL gegen die SC" anfühlt.
Die Charaktererschaffung... steht im GRW. Aber sie ist so durchdacht, dass ich ein zentrales Element hier kurz erklären will: Zu allererst wird gemeinsam ein Gruppenkonzept ausgewählt, beispielsweise das einer Entdeckergruppe. Darauf aufbauend sucht sich die Gruppe ihr Raumschiff aus (kein Sci-Fi-RPG ohne Raumschiff!) und wählt ein Gruppentalent, das alle Gruppenmitglieder nutzen können. Es gibt Vorschläge für Charakterklassen, die zum Konzept passen, die Gruppe sucht sich einen Patron aus und eine Nemesis, die ihnen künftig das Leben schwer machen wird. Erst nach dieser Phase werden die einzelnen Charaktere erschaffen, mit Hintergrund, Attributen und Talent und Fertigkeiten...
Den Schritt von der Gruppe als funktionierender Einheit hin zum dazu passenden Charakter werden viele Gruppen in vielen Spielsystemen gehen, wenn eine neue Kampagne beginnt. Zumindest ist das ein guter Plan, wenn eine Gruppe funktionieren oder zur Kampagne passen soll. Mit einem Schelm, einer Achaz, einem Praioten und einem Dämonologen kann man auch spielen, aaaber vielleicht nicht ganz so gut. Hier gehört das Gruppenkonzept zur Charaktererschaffung dazu, was ich nur logisch finde.
RaumkampfEs ist ein Sci-Fi-Setting und die Gruppe besitzt ein Raumschiff, also muss es Raumkämpfe geben, oder? Ja, muss es, und ja, gibt es. Hierbei haben die Spieler sogar unterschiedliche Rollen - der Kapitän verteilt jede Kampfrunde einen Buff, wenn der Rest der Crew in der gebufften Richtung handelt, der Techniker repariert Schäden und teilt jede Runde die Energie an die anderen Stationen zu, der Pilot steuert das Raumschiff, der Sensorbediener erfasst Ziele und hackt feindliche Schiffe und der Bordschütze feuert die Waffen ab. Das ist ein kleines Minispiel, bei dem jeder Spieler etwas zu tun hat und das den gleichen Würfelprinzipien folgt wie der Rest des Spiels. Mir gefallen die Raumkampfregeln sehr gut, hoffentlich kann ich sie bald mal ausprobieren.
Artwork und ProdukteDas Artwork und das Layout sehen sehr gut aus - nur druckerfreundlich ist Coriolis nicht. Die meisten Seiten bestehen aus dunklem Sternenhintergrund mit weißer Schrift und helleren Textboxen, das saugt jede Tintenkartusche sehr schnell leer. Das
GRW enthält die Regeln, die Ausrüstung und einen Überblick über den Dritten Horizont, mit einem starken Fokus auf die Coriolis-Station und das Kua-Sternensystem. Das
Atlas-Kompendium enthält mehr Infos zu den anderen Systemen,
Oasen & Technik birgt ein paar sehr schöne Schauplätze mit Abenteuerideen und NSC sowie im zweiten Teil mystische Artefakte und geheime Fraktionstechnologie. Mir gefällt dabei, dass man
Oasen & Technik NICHT wie beispielsweise den Splittermondband "Mondstahlklingen" fast zwingend zur Charakterschaffung braucht, weil die Ausrüstung darin so wichtig ist. Nein, die Objekte aus
Oasen & Technik können vom SL in kleinen Dosen ins Spiel eingestreut werden und sind für normale Bürger ohnehin nicht verfügbar.
Dazu kommen ein
SL-Schirm, ein
Würfelset, ein
Ikonen-Kartenset für diverse Zufallseffekte mit Karten zu den Rollen im Schiffskampf, ein
Soundtrack, eine
Karte (oder ist die Teil des GRW?),
Schiffspläne, diverse
Abenteuer von kurz bis länger und eine
Kampagne. Eine ordentliche Menge, aber man braucht keine 3 Meter Regalfläche. Und das mag ich sehr!
Mein persönliches Fazit bisherDa ich voll eingestiegen bin in die Kickstarter-Kampagne, werde ich früher oder später alles in Händen halten und kann dann auch zu allem meine Meinung kund tun. Ich bin nach 27 Jahren Pen&Paper ein sehr kritischer Mensch geworden und nur noch schwer zu begeistern, aber auf Coriolis freue ich mich. Was ich bisher gelesen habe gefällt mir zu 90%, was ein teilweise deutlich höherer Wert ist als bei DSA 4.1 (das ich leite), Pathfinder (das ich leite) und Splittermond (das ich spiele). Kein System ist perfekt, aber dieses finde ich ziemlich gut.
Es bleibt abzuwarten, wie viel Aufwand es für mich ist, in diesem System zu leiten - die Welt stimmig darzustellen, Bilder in den Köpfen meiner Spieler zu erzeugen, die Abenteuer an das Gruppenkonzept anzupassen und so weiter. Vielleicht hat das System das Problem, dass man quasi alles spielen kann, aber nur wenn der SL immensen Aufwand in die Vorbereitung steckt? Die Gruppenkonzepte sind sehr divers, fertige Abenteuer können kaum zu jedem Konzept passen. Aber ich werde es merken.